Wenn die Regionalzeitung «enthüllt», wo ihr Vize-Chefredaktor gut rasiert wurde

(Bild: Screenshot ZO)
(Bild: Screenshot ZO)

Wollten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, auch schon immer mal wissen, wo Erik Hasselberg, stellvertretender Chefredaktor des «Zürcher Oberländers», sehr zufrieden war mit dem Stutzen seines struppigen Barts? So zufrieden, dass Sie gleich eine ganzseitige Reportage über den betreffenden Barbershop in Bubikon verschlingen möchten? Der ZO hat vor einigen Tagen diesen «Scoop» lanciert und damit wohl Mediengeschichte geschrieben...

 

Spass beiseite: «Was um Himmelswillen hat das mit Journalismus zu tun?», fragten sich in den sozialen Medien Berufskolleginnen und -kollegen, die sich mit der haarigen Enthüllungsgeschichte konfrontiert sahen. Waren- und Dienstleistungstests sind in Konsumentenformaten wie etwa dem «Kassensturz» zwar gängige journalistische Formen. Aber in solchen Tests, wenn sie journalistischen Wert haben sollen, werden verschiedene Produkte, Anbieter und Dienstleister – in der Regel durch inkognito agierende Mitarbeitende – getestet und miteinander verglichen. Eine ganzseitige, überschwängliche Gefälligkeits-Reportage über einen bestimmten Anbieter – das ist nach landläufigem Empfinden jedoch Werbung und PR, aber nicht Journalismus, schon gar nicht Qualitätsjournalismus.

 

ZO-Textauszug über den Bubiker Laden, der laut ZO noch «wenig Laufkundschaft zu sich locken» kann: «...bin ich nach rund 50 Minuten sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Über­gänge stimmen, Länge Schnauz und Bart passen zueinander, das vorherige Ungetüm ist gebändigt. Auch das verwen­dete Bartöl und die benutzte Pomade überzeugen mich. Für das Ergebnis bezahle ich 50 Franken. Preis und Leistung stimmen für mich, und das Am­biente und die Ruhe laden mich dazu ein, vielleicht bald wieder hier meinen Bart schneiden und pflegen zu lassen.» Mit solch medialem Support wird die Laufkundschaft in Zukunft wohl nicht mehr auf sich warten lassen...

 

In der Tat hat der Schweizerische Presserat klare Richtlinien aufgestellt, wie Medien mit Werbung, Sponsoring, Pressereisen, Lifestyle-Berichten, Native Advertising und dergleichem umgehen müssen: Das alles muss klar vom redaktionellen Teil getrennt und in der Gestaltung (Schrift, Aufmachung etc.) erkennbar sein. Ist das nicht der Fall, steht für den Presserat die Glaubwürdikeit nicht nur des betreffenden Mediums, sondern der seriösen Presse insgesamt auf dem Spiel. Richtschnur für journalistische Publizität muss immer ein öffentliches Interesse sein. Ein solches ist hier beim besten Willen nicht erkennbar, höchstens ein Veröffentlichungsinteresse angesichts offenbar noch bescheidener Laufkundschaft.

 

Gerne hätte buebikernews von Hasselbergs Vorgesetztem, Chefredaktor Michael Kaspar (der übrigens in der Gemeinde Bubikon wohnt) gewusst, ob der «Zürcher Oberländer» hier ein neues Geschäftsmodell austestet, vergleichbar mit dem – zweifellos unjournalistischen – Treiben der Youtuber und Influencer im Internet. Doch leider hat Kaspar auf unsere Fragen überhaupt nicht reagiert und die gewährte Gelegenheit zur Stellungnahme (auch das ist eine Forderung des Presserats) nicht wahrgenommen.

 

Thomas Illi, Journalist BR, Redaktionsleiter buebikernews

 

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